(Ich habe lange gezögert, diesen Artikel zu schreiben, weil ich mich ungerne zum Richter über Richtig und Falsch erhebe. Letzten Endes habe ich mich aber dann doch dafür entschieden, weil ich es wichtig fand, das Thema Schwellenangst mal zu erwähnen und auch zu thematisieren, wie Lebenswege verlaufen können, aber nicht immer müssen. Der berühmte Spruch vom: Erstens kommt es anders und zweitens… 😉 )
In letzter Zeit begegnete ich häufig Leuten, die einen ähnlichen „Neustart“ durchmachen wie ich. Da war es immer, dieses vertraute Gefühl „Ach, Du auch.“ Jeder erzählt seine Geschichte und dann blickt man sich an und es fühlt sich alles so sehr vertraut an. Nein, wir wollen nicht mehr. Nein, wir wollen uns nicht irgendwelchen Büroalltags-Regeln unterwerfen. Nein, wir haben keine Lust auf diese gesamte Show, auf Karrieregehabe und auf mehr Schein als Sein. Es ist das typische Zeichen der Generation Praktikum, die plötzlich anfängt nachzudenken, was sie eigentlich vom Leben sonst noch möchte außer ein dickes Auto und einen fetten Gehaltsscheck. Um ehrlich zu sein, ich war erstaunt, dass es bereits so früh anfängt. Aber es ist um mich herum deutlich spürbar.
Und doch, irgendwie ist es in diesem Fall anders. Es ist nicht so, dass ich plötzlich durch eine höhere Eingebung gemerkt hätte, dass ich nicht der Karrieremensch bin und jetzt lieber einen auf Streetworker Sozialarbeiter 😉 mache. Nicht, dass ich plötzlich unglaublich alternativ geworden wäre oder glaube, aus allen gesellschaftlichen Zwängen ausbrechen zu wollen. Es ist eigentlich eher so, dass ich das, was ich jetzt tue, mich lange lange nicht getraut habe zu tun. Aus Angst, aus ganz banaler Angst vor fiesen Arbeitszeiten und erbärmlichen Gehältern, aus Angst, Erwartungen zu enttäuschen und aus vor allem Angst, mir und meinen Eltern beispielsweise die Last eines Zweitstudiums aufzubürden, während dessen ich mich wieder nicht oder nicht komplett selber versorgen konnte. Lange Zeit habe ich diese Angst gar nicht bewusst realisiert. Leute um mich herum machten wie ich ihren Abschluss und stiegen ins Berufsleben ein, haben ein regelmäßiges Einkommen und vielleicht endlich die erste eigene Wohnung. Das will ich auch und das „muss“ ich auch, dachte ich mir.
Aber das war im letzten Jahr einfach nicht so einfach möglich. Ich habe vieles überlegt und vieles probiert, ich bin mehrmals fast verzweifelt und ich habe weiterprobiert und überlegt. So unter anderem auch das Experiment Don Jefe, das aber bereits nach sehr kurzer Zeit zum Scheitern verurteilt war. Wenn ich mich so zurückerinnere und zurücklese, dann waren meine Zweifel, die sich vom ersten Tag an einstellten, durchaus berechtigt und sind im Laufe der Zeit nicht geringer geworden. Ich habe mich trotz allem bemüht, meine Arbeit gut zu machen, das hat was mit meinen Prinzipien zu tun. Aber im Nachhinein gesehen, hatte ich vom ersten Tag an das Gefühl, dort nicht hinzugehören.
Und irgendwo war da immer der Wunsch, eine sinnvolle Arbeit zu machen, etwas was wirklich mir entspricht. Er war da, als ich vor vielen Jahren zusammen mit der liebsten Freundin mein Nebenfach zu Psycholinguistik wechseln wollte (was nicht ging, weil das Fach an unserer Uni abgeschafft wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie enttäuscht wir beide waren. 😉 ). Er war da, als ich in Finnland mehr oder weniger zufällig für vier Monate in einem Kindergarten landete. Er war da, als ich mir nach meiner Rückkehr eine ehrenamtliche Arbeit suchte. Eigentlich aber suchte ich eine erfüllende Tätigkeit mit Menschen als Abwechslung zur – zeitweise doch sehr einsamen – Studiererei. Er war da, als ich die wahnsinnig tolle Chance bekam, bei einem Projekt für Sprachförderung mitzuarbeiten. Und er war immer noch da, als ich gegen Ende und nach dem Ende meines Studiums eine Perspektive für mich suchte. Und er war da -mehr als je zuvor – letztes Jahr bei Don Jefe.
Als ich vor einem Monat die Zusage für den Studienplatz bekam, da war da jede Menge Freude, aber anfangs auch ein ganz komisches Gefühl, das ich zunächst gar nicht einordnen konnte. Erst nach einigem Nachdenken und einiger Zeit realisierte ich etwas, was mir schon so lange diesen Weg versperrt hatte. Es war wie das Gefühl und diese Angst, etwas „verbotenenes“ zu tun. Etwas Regelwidriges, etwas nicht „normales“. Etwas, was meine Umgebung und die Gesellschaft nicht von mir erwarten. Ich hatte das Privileg, eine wunderbare Studienzeit erlebt zu haben, ich kann doch jetzt nicht noch so ein Privileg einfordern. Jetzt fängt das normale Leben an, aber halt, was ist normal? Frage 1000 Menschen, was normal bedeutet und Du wirst 1000 Antworten bekommen. Ist es nicht so? Warum muss dann ausgerechnet ich „normal“ sein?
Das alles soll nicht heissen, dass dieses Linguistikstudium nicht genauso ein Herzenswunsch war oder dass es mir nicht entsprochen hätte, und schon gleich gar nicht, dass ich es nicht jederzeit wieder machen wollen würde. Es war eine wunderbare Zeit und ich habe so unglaublich viel gelernt, was mir heute, in Zukunft und auch für diesen neuen Beruf weiterhelfen wird, davon bin ich überzeugt. Es ist auch nicht so, dass ich komplett „aussteige“. Ich denke, mit einerseits Sprachen und dazu Pädagogik lässt sich sicherlich einiges anstellen, Sie werden schon sehen. Stay tuned! 😉
Es war auch damals als ich mich für die Linguistik entschied so, dass ich erst im Nachhinein merkte, wie gut, wie wunderbar diese Wahl letztendlich zu mir gepasst hat. Und auch heute bin ich keinen Zentimeter weniger dieser Meinung. Ich hätte wirklich sehr gerne an der Uni oder in der Richtung weitergearbeitet, aber es hat nun mal nicht sollen sein. Es hat ein bisschen wehgetan, diese Erkenntnis und tagtäglich spüre ich wieder, dass in meiner Brust ein kleines Linguistenherz schlägt, dass sofort wenn es eine fremde Sprache sieht oder hört, vor Freude aufgeregt zu hüpfen beginnt. Es sollte scheinbar einfach nicht sein. Aber es ist jetzt gut so. Inzwischen bin ich froh, eine so wunderbare Alternative zu haben. Wobei Alternative ja schon etwas blöd klingt. Es sind letzten Endes zwei Dinge, die einfach so nebeneinander bestehen und die ich nicht gegeneinander bewerten möchte. Es sind zwei Wege, die nebeneinander verlaufen und ich probiere jetzt diesen neuen Weg.
Bis hierhin aber war eine Riesenportion Schwellenangst, einfach so auf diesen neuen Weg zu hüpfen. Es erforderte meinen ganzen Mut und meine ganze Kraft, die Zweifel und die Angst niederzukämpfen. Selbst nachdem ich die Bewerbung an die Unis abgeschickt hatte. Diesen Mut hatte ich letztes Jahr nicht, vielleicht auch weil ich da nicht so genau wusste, was ich will. Doch da waren immer wieder wunderbare Freunde und vor allem meine Eltern, die mich unterstützten und bestärkten das richtige zu tun und die mir letzten Endes sogar dieses Gefühl genommen haben, etwas „verbotenes“ zu tun. Die mir halfen, den Mut zu entwickeln, um das „normale“ normal sein zu lassen und meinen Weg zu gehen. Den, der sich für mich gut anfühlt.
Und jetzt sitze ich hier am Anfang meiner Urlaubsvertretung und bin einfach nur wahnsinnig glücklich, dass es jetzt losgeht, dass ich diesen neuen Weg gehen darf, dass ich mich hier schon im Vorraus etwas ausprobieren darf, dass ich merke, wie gut es tut, eine sinnvolle Arbeit zu machen und dass alle diese Wirren endlich vorbei sind. Ich bin begierig zu erfahren und zu lernen (auch wenn es diese Woche hier eigentlich wenig zu lernen und zu erfahren gibt und extrem still ist, zumindest tagsüber sind beide Kinder aus dem Haus und das größte „Drama“ ist diese Woche, den Großen um 5.30 Uhr zu wecken und danach nicht selber sofort wieder ins Bett zu fallen. Kein Vergleich zu den letzten Malen. 😉 )
Ich bin wieder ich. Ich bin sehr glücklich, gerade, hier und jetzt, in der „Teenie-Hölle“. 😉 Und ich freue mich unglaublich auf alles, was da kommt.
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