Aufgewacht

Manchmal, Gottseidank inzwischen seltener und seltener und Gottseidank auch immer kürzer, gibt es noch dunkle Tage, dunkle Stunden. Stunden voller Selbstzweifel, voll „Ich schaff das alles nicht“, voller Hinterherträumen, nein -rennen von Illusionen und voller wirrer Gedanken, die doch rational betrachtet sehr bescheuert sind. Und trotz aller Rationalität, es gibt in diesen dunklen Stunden einfach kein Entkommen, keine Pause, keine Möglichkeit zu entfliehen.

Aber es gibt auch immer ein „Danach“, ein „aufgewacht“. Es ist wie ein zurück ins Leben, ein raus aus dem Nebel. Mein Kopf tickt wieder, er funktioniert wieder wie gewohnt, ich kann ihn benutzen. Es ist wie ein Sonnenaufgang, ein sich lichtender Nebel von Konfusion und Kopfkino und auf einmal sehe ich alles wieder klar und deutlich. Endlich, endlich, ich habe so sehr darauf gewartet. Ich kann mich wieder auf meine Wahrnehmung verlassen, ich kann mich wieder spüren. Ich nehme meinen Körper wahr und auch meine Gefühle. Ich fühle meine Muskeln, meine Fasern, meine Sinne schärfen sich wieder. Es ist wie eine Glocke, die sich hebt. Die drückende Enge verschwindet, ich kann frei atmen und ich kann mich wieder frei bewegen. Aber auch die Stille und das Grau hebt sich, war doch zuvor alles verschwommen, grau und farblos. Jetzt durchdringen die ersten Sonnenstrahlen den zähen Nebel. Sie bringen wieder Farben in das Bild, und die Farben sind so strahlend und schön, dass es mich beinahe blendet; sie bringen wieder Formen und sogar Töne. Ich höre wieder und höre wieder anderen zu; ich schmecke wieder, intensiver als zuvor; ich spreche wieder, spreche frei und direkt aus meiner Seele; ich spreche nicht mehr um irgendetwas gegen die Stille zu sagen, sondern ich spreche wieder um mich mitzuteilen. Ich bin wieder ich. Ich bin kein Höhlkörper mehr, sondern ich bin prall gefüllt. Mit Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen, Emotionen, Wahrnehmungen. Ich habe nicht mehr das Gefühl, neben mir zu stehen und mir selber beim Sprechen, Handeln, Agieren zuzusehen. Ich spreche, sehe, handele wieder selber. Das Leben hat mich wieder und ich habe das Leben wieder. Ich fühle mich wieder fest und verankert, fühle wieder eine Verbindung zu meiner Umwelt wo zuvor nur eine graue, nebelige Wand war, durch die alle Sinneseindrücke und alle Wahrnehmungen wie durch einen großen Schalldämpfer auf mich niederrieselten. Auf mich, die ich wahrnehme und gleichzeitig nicht wahrnehme, unfähig auf etwas zu reagieren und wenn, dann nur unter größter Anstrengung. Mittendrin, nur nicht dabei. Aber jetzt ist es vorbei, ich hab’s überstanden und ich bin wieder da und bin froh, dass es vorbei ist.

Ich atme tief durch und ich atme das Leben ein. Ich bin frei, ich bin wieder bei mir. Angekommen in mir. Es ist ein Ankommen, ein Erwachen. Und ich bin sehr dankbar und sehr demütig, dass ich dieses Erwachen immer wieder spüren darf und dass ich anders als vielleicht manch andere das Licht am Ende des Tales sehen darf. Dafür dass das Licht immer heller und schöner wird, und die Dunkelheit immer seltener. Ich glaube fest daran, dass es eines Tages auch keine Täler, keine dunklen Stunden mehr geben wird. Und alleine für diesen Glauben bin ich so unfuckingfassbar dankbar, denn er ist Geborgenheit, Zuversicht, Hoffnung und er ist mehr als die meisten meiner Leidensgenossen haben.

2 Kommentare zu „Aufgewacht“

  1. Das ist so so großartig, solch unerschütterliches Wissen und den Glauben daran zu haben. Das freut mich und ich wünsche Dir, dass bald solche Täler nichts weiter sind als erinnerliche Vergangenheit! (())

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