Alma

Letzten Freitag erhielt ich eine Email mit ziemlich überraschendem Inhalt: Mir wurde angeboten, den kompletten September und teilweise auch Oktober Urlaubsvertretung in dieser WG für Jugendliche, wo ich jetzt schon mehrmals Nacht- und Wochenenddienste geschoben habe, zu machen, da beide Betreuer nacheinander planen Urlaub zu nehmen.  Ich wäre dann Alma/ Hausmutter und als solche dann auch permanent in der WG anwesend.

Und nochwas: Ich bin die Wunschkandidatin, weil ich das bisher alles so toll gemacht hätte.

Frau Ansku reagierte ersteinmal mit panikartigem *schluck* und Konfusion. Ich mach den Job ja gerne, aber über einen Monat lang? Ich bat mir ersteinmal Bedenkzeit aus. In der Zwischenzeit stellte sich dann heraus, dass ich wohl nur im September arbeiten kann, da wenn alles planmäßig läuft, im Oktober die Uni anfängt. 😉

Aber trotzdem ist es noch ein ganzer Monat. Ein ganzer Monat 24/7 in der Arbeit? Kein Feierabend, kein Wochenende, gerade einmal vier (4) freie Tage.  Ich fing also an zu überlegen und abzuwägen. Natürelich fühle ich mich geehrt, dass sie gerade mich wollen. Hey! Mich! Die ich seit zwei Monaten dabei bin. Auch das Gehalt ist wirklich nicht schlecht, zumal man bedenkt, dass ich ausser „ein bisschen Haushalt“ nicht viel zu tun haben werde. 16-18jährige müssen ja nicht mehr den ganzen Tag beschäftigt werden. 😉 Ich werde quasi für meine Anwesenheit bezahlt, muss aber dafür eben auch anwesend sein. Ich wohne, dusche, schlafe, esse, lebe dort mit den Jugendlichen, irgendwo ganz auf der anderen Seite dieser Stadt. Und das bringt doch so einige Einschränkungen mit sich, gerade was den Kontakt zu Familie und Freunden betrifft. Einen Feierabend gibt es nicht, stattdessen bete ich passe ich abends auf, dass die Kindelein nicht zu späterer Zeit als sie dürfen nach Hause kommen. Ich könnte wohl tagsüber mal für ein paar Stunden verschwinden, ich erhielt sogar die Erlaubnis weiterhin Finnisch zu unterrichten, aber das sind eben tagsüber ein paar Stunden, um mir die Zeit zu vertreiben. Abends? Mal schnell spontan in den Biergarten? Geburtstagsfeiern? EIGENES Sozialleben?

Mir machte das Angst, sehr viel Angst und ich war mir (auch nach den Erfahrungen der letzten Male) wirklich nicht sicher, ob ich das hinbekomme, mich darauf einzulassen, einen Monat lang so gebunden (wortwörtlich und im übertragenen Sinne) zu sein. Was ist ein Monat? Ein Monat kann sehr kurz sein, er kann aber auch sehr lang sein, gerade wenn jeder Tag gleich abläuft.

Mein Umfeld dagegen reagierte auf meine Angst, meine Zweifel und meine Bedenken mit euphorischer Begeisterung. So ein toller Job, wo man nur für seine Answesenheit bezahlt wird! Was für eine Chance für Dein weiteres Berufsleben! Endlich mal rauskommen und was Neues kennenlernen!

Klar ist es kein schlechter Job, klar ist es eine Auszeichnung für mich und meine Arbeit, eine tolle Chance zudem und es wird sicherlich auch eine wertvolle Erfahrung und hey, ich fühle mich übrigens immer noch geehrt, dass sie so unbedingt mich wollten. 😉 (Was „Rauskommen“ und das „Was Neues kennenlernen“ anbelangt, da bleibe ich noch skeptisch, aber ich lasse mich gerne überraschen.) Aber da ist eben auch die andere Seite der Medallie, die besagt, dass ich 24 Stunden fast ohne Pause in der Arbeit (und in der Veranwortung) bin. Dass ich mich so leicht abends erholen kann und gemütlich mit Freunden ratschen kann. Sehen die das denn nicht? Zuerst war ich irritiert, irgendwann wurde ich dann bisschen wütend, denn wer einen feinen 9 to 5 -Job hat, der kann leicht sagen, was für eine tolle Chance. Ich habe mir diese Branche gewissermassen ausgesucht und ich habe mir diesen Job ausgesucht. Ich wollte nie nachts und am Wochenende arbeiten, jetzt muss ich es wohl oder übel in Kauf nehmen. Das ist okay, dazu stehe ich. Aber ob genau die Leute, die jetzt so klug daherreden, das auch selber machen würden? Oder ob sie sich eigentlich heimlich denken: Gut, dass ICH so einen Job nicht machen muss? Ob sie, wenn sich für sie eine richtig tolle berufliche Chance bietet, auch einen quasi-24 Stunden-Job auf längere Zeit hin annehmen würden, ob sie sich auch so sehr in ihren eigenen Bedürfnissen und in ihrem eigenen Sozialleben einschränken würden? Ich war mehrmals kurz davor, den Leuten mit ihren nettgemeinten Ratschlägen tatsächlich diese Frage stellen: „Würdest Du auf längere Zeit hin 24 Stunden arbeiten und dafür auch Trennung von Familie und Freunden in Kauf nehmen? Wie würdest Du Dich in meiner Situatione entscheiden?“

Entscheidungen zwischen Beruf und eigenem Leben sind nie leicht, aber diese war ist es ganz besonders nicht. Und ich stand das erste Mal vor so einer Entscheidung. Das einzige, was ich mir von Familie und Freunden erhofft habe, ist Verständnis für diese Tatsache. Nicht mehr und nicht weniger.

(Inzwischen hat sich das Chaos hier gelegt. Ich habe gestern ein paar Tränchen vergossen und dann einen schweren Anruf getätigt und zugesagt. Ich rede mir immer erfolgreicher ein, dass ein Monat wie im Flug vergehen wird und ich fange tatsächlich an, mich an den Gedanken zu gewöhnen und gerade als ich im schönsten Gewöhnen und in der schönsten Vorfreude auf ein „richtiges“ Gehalt bin, kommt heute früh die Nachricht, dass sie mich nun doch nicht den ganzen September brauchen, sondern vom 6.-10. und dann ab 17. -30. *puuuh* 😉 Aber gut, das sollte doch dann erst recht zu machen sein.)

Und hiermit nochmal meinen ALLERALLERALLERALLERhöchsten Respekt für die Menschen, die diese, ähnliche oder generell solche 24/7-Jobs wirklich dauerhaft machen. Ihr seid die wahren Helden und ich muss ehrlich zugeben, ich könnte es nicht. Dazu sind mir meine Familie und meine Freunde zu wichtig.

7 Kommentare zu „Alma“

  1. herzliche gratulation zu dieser anfrage! ist ja super! du darfst dich also ruhig etwas recken und strecken und dich stolz der welt präsentieren!

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  2. Du hast mit allem so volkommen Recht!
    Ich denke einerseits auch: Wow, eine tolle Chance! Und was für ein Riesenkompliment, das sie gerade dich gern dafür wollen! Und andererseits denke ich: Ohgottohgott, bin ich froh, das ich das nicht machen muss! Insbesondere weil es so eine rundumdieuhr-Sache ist, das stelle ich mir schon sehr, sehr aufreibend vor. Klar sind die „Kinder“ schon größer und müssen nicht mehr bespaßt werden, aber gerade in dem Alter hecken die ja auch gern so einiges aus und dafür dann die komplette Verantwortung auf dem Buckel haben, das würde mich mehr schlauchen als das Arbeiten selbst. Meine volle Hochachtung, das du dir das zutraust! Aber ich gebe zu, ich bin auch ein bißchen erleichtert, das sich der Zeitraum letztendlich etwas begrenzter als zunächst angenommen herausgestellt hat.

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  3. Danke Ihr beiden, das ist sehr lieb! Von wegen Verantwortung, vielleicht war das etwas blöd ausgedrückt. Deshalb nochmal nur damit es keine Missverständnisse gibt: Auf mir lastet nicht die komplette Verantwortung. Es ist noch jemand in der anderen WG im selben Haus und ich kann auch jederzeit die Pädagogen anrufen, wenn ich nicht weiterkomme. Mir wurde mehrmals gesagt, dass ich nicht irgendwelche Grabenkämpfe ausfechten muss. Würde ich auch gar nicht, könnte ich auch gar nicht, wie denn? Ich habe gar nicht (noch nicht) die Ausbildung dafür. Nichtsdestotrotz bin ich halt die, die vor Ort ist, die aufpassen muss und eben gegebenenfalls sagen muss „So nicht!“ oder das an die entsprechenden Personen weitergeben muss.

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  4. Ach so, das war mir ehrlich gesagt nicht so klar. Aber das ist doch prima, wenn das so ist. Dann würde ich sagen, auf gehts! 🙂

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  5. Du schaffst das schon, da bin ich ganz sicher!
    Aber ganz ehrlich: so eine Arbeit würde ich nicht wirklich machen wollen, dazu brauche ich dann doch zu sehr meinen Freiraum. Alle Achtung! Ich kann deine Zweifel jedenfalls gut nachvollziehen.

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  6. Danke! Es ist für eine begrenzte Zeit, ein Monat bzw. jetzt nach dem neuesten Stand ja sogar noch kürzer. Das geht. Es ist ein Ende absehbar. Dauerhaft könnte ich das auch nicht machen, ich brauche auch sehr sehr meine Freiräume und auch ab und zu eine Möglichkeit, mich zurückzuziehen.

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  7. Oh ich denke, auch wenn einem Freunde und Familie wichtig sind (mir auch!) – die Zeit ist ja nun doch begrenzt, die du nun „opfern“ wirst, und ich glaube, da wird eine echt spannenden Sache. Bestimmt nicht immer leicht, ich denke, dass paar von den Jugendlichen da vielleicht auch mal Kräfte messen wollen a la „Wer hat hier das letzte Wort“, aber wie heißt es: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, und im Oktober geht eine Riesen-Ansku ins Studium 🙂

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