Was ist denn eigentlich…? Indogermanistik
Ich hab es ja schon erzählt: Wenn mich Leute fragen, was ich studiere, ernte ich – naturgemäss – immer etwas Verwunderung:“Ich studiere Sprachwissenschaft…“ – „Aha, und WELCHE Sprachen?“ – „… und meine Nebenfächer sind Finnougristik und Indogermanistik.“ Spätestens da hört es dann auf. Finnougristik hört sich zwar komisch an, das Wort enthält eindeutig zuviele Vokale 😉 , aber das kann man noch erklären: „Das ist Finnisch (Finno-) und Ungarisch (-ugris-tik), die gehören zu einer eigenen Sprachfamilie.“ Aber Indogermanistik klingt vermutlich für manche Ohren doch sehr exotisch „Indo-was?“, deshalb versuche ich heute mal für meine werten Leser etwas von dieser Exotik zu nehmen:
Indogermanistik ist eigentlich historische Sprachwissenschaft, die Wissenschaft von der historischen Entwicklung der Sprachen und Sprachfamilien. Daneben ist Indogermanistik aber auch die Sprachwissenschaft der indogermanischen Sprachen (sehr selten gibt es auch die Bezeichnung: Indoeuropäische Sprachen, aber das ist natürlich wiederum ein Politikum 😉 ). Die indogermanischen Sprachen bilden eine große und sehr verzweigte Sprachfamilie mit vielen heute noch gesprochenen, aber auch vielen alten, ausgestorbenen Sprachen, wie z.B. Latein, Altgriechisch, Sanskrit (Altindisch), Tocharisch). Diese Sprachen finden sich im größten Teil von Europa bis hin zum Kaukasus. Das ausgestorbene Tocharisch, was ebenfalls als ein Zweig der indogermanischen Sprachfamilie gezählt wird, wurde sogar noch weiter östlich, vermutlich in der heutigen Monogolei gesprochen. Zählt man dann noch die Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen u.a. im Zuge der Kolonisation hinzu, so ist es weltweit die größte Sprachfamilie mit 2,5 Milliarden Muttersprachlern.

Man vermutete schon vor langer Zeit, dass alle diese Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben, das Ur-Indogermanische. Das ist eine Sprache, die nach archäologischen, ethnologischen und linguistischen Theorien im 4. Jahrtausend vor Christus in einer Gegend zwischen Ostmitteleuropa und dem Kaukasus gesprochen worden sein muss. Heute kann man das auch beweisen, denn es gibt in der Entwicklung von Sprachen gewisse Regelhaftigkeiten (z.B. sogenannte Lautwandel), anhand derer man zuerst die Ursprachen der einzelnen Familien und dann die gemeinsame Indogermanische Ursprache rekonstruieren kann. Als ein minikleines Beispiel die Tabelle unten:

(KLICK macht’s groß)
Bei dem Wort für „Vater“ könnt Ihr erkennen, dass dieses Wort heute in verschiedenen Sprachen viele verschiedene Formen hat. Dennoch klingen die irgendwie alle ähnlich. Wenn man sich nun die Mitte des Wortes ansieht, dann bemerkt man, dass das t aus dem alten indogermanischen Wort in einigen Wörtern erhalten geblieben ist, zum Beispiel im Sanskrit ‚pitar‘, im Griechischen ‚patér‘ oder im Lateinischen ‚pater‘. Im Gotischen dagegen ist an die Stelle des mittleren t’s ein ‚d‘ getreten, das ‚d‘ ist ein stimmhafter Laut geworden. Das passiert ganz natürlich, im Laufe von vielen Jahren. Sprache ist immer einem Wandel unterlegen, auch unsere heutigen Sprachen verändern sich ja noch. Im Englischen heute wiederum ist daraus ein ‚th‘ geworden und im Altirischen ist es ein behauchtes ‚th‘ (nicht wie Englisch, sondern deutlich behaucht: th). Vergleicht man nun das mit der zweiten Zeile und dem Wort für Mutter, welches auch in der Mitte ein ‚t‘ hat, so finden sich diese Ergebnisse durchweg bestätigt. Das Ganze geht natürlich in einem viel größerem Rahmen und wesentlich komplizierter ab, klar oder? Aber letztendlich kann man aus solchen Befunden sog. „Lautgesetze“ über die Entwicklung von Lauten aufstellen und daraus lassen sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, wie die indogermanische Ursprache ausgesehen haben muss. Eine solche Vermutung ist zum Beispiel, dass ‚Vater‘ auf Indogermanisch vor vielen tausend Jahren *pəter geheißen haben muss. Das umgedrehte e in dem Wort ist ein zentraler, fast schon etwas verschluckter Laut, in etwa wie das letzte e im deutschen Verben „spielen“, was ja ausgesprochen wie „spiln“ klingt. Und das Sternchen vor dem Wort bedeutet übrigens, dass dieses Wort in dieser Form von den Forschern so angenommen wird, schriftlich belegt ist es jedoch nciht, weil es natürlich damals vor etlichen tausend Jahren noch keine Schrift geschweige denn Tonbandaufnahmen 😉 gab und uns daher aus dieser Zeit irgendwelche Dokumentationen über die tatsächliche Form dieses Wortes fehlen
Und man sieht, auch bei Verben, Zahlwörtern und Pronomen gibt es große Ähnlichkeiten.

(KLICK macht’s groß)
Man geht bei all diesen Rekonstruktionen davon aus, dass sich diese Ursprache im Laufe der Zeit auseinanderentwickelt hat und sich dadurch zunächst weitere Ursprachen entwickelt haben. So zum Beispiel das Urgermanische, das Urslavische, das Urkeltische usw. In der Abbildung unten ist links das Schema dargestellt, rechts die chronologische Entwicklung der einzelnen Sprachen und Sprachgruppen, welche Sprache sich zuerst abgespalten hat und so weiter. Aus diesen Ursprachen, die immer noch auf einen Zeitraum von vor ca. 3000-4000 Jahren angesetzt werden, haben sich dann unsere heute bekannten Sprachen entwickelt, also hat sich zum Beispiel das Urgermanische wiederum aufgespalten in verschiedene regionale Untergruppen, zum Beispiel Nordgermanisch, woraus dann Schwedisch, Dänisch, Norwegisch und Isländisch entstanden, das Westgermanische, woraus u.a. Deutsch, Holländisch und Englisch entstanden und das ausgestorbene Ostgermanisch, wozu Gotisch gehörte. Eine etwas bessere Übersicht über die Mitglieder der einzelnen Sprachzweige gibt es hier.

So, wer ist bis hierhin mitgekommen? 😀 Ich hoffe, ich habe damit ein bisschen Exotik genommen, ein bisschen Neugier befriedigt und ein bisschen Neugier geweckt. 😉 Wer noch mehr wissen will, der frage bitte entweder mich oder konsultiere diesen relativ guten Wikipedia-Artikel Indogermanische Sprachen oder diese Beschreibung des Faches auf der Homepage unseres Institutes.
(Und wie jedes Mal würde ich mich auch jetzt über Feedback freuen, ob das jetzt für Euch interessant oder langweilig, verständlich oder kompliziert, informativ oder zu ausführlich war. Ich bemühe mich sehr, das auch für „nicht-SpraWis“ interessant und verständlich zu schreiben und einen Einblick in meinen „Job“ zu geben ohne allzuviel Vorwissen vorauszusetzen, aber ob es einem dann immer so gelingt ist die andere Sache.)
Schön! Mehr davon!
Zwar befleißige ich mich der total unwissenschaftlichen Methode des Sich-aus-den-Fingern-Lutschens, wie Wörter entstanden sein könnten, was letztendlich lustig ist (Tittenkofen? Der Ort muss von einem Berliner gegründet worden sein, der im Mittelalter experimentell an Brustvergrößerungen gearbeitet hat), aber die wirkliche Entwicklung eines Wortes zu verfolgen ist natürlich seriöser und vor allem mächtig spannend.
Also: Mach nur weiter, klär‘ die Menschheit auf, dass Sprachwissenschaft kein verquastes Zeug ist, sondern wichtig für die Geschichte und interessant für Jeden.
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WOW, ich bewundere sprachbegabte Menschen…aber welche, die sich SOWAS antun???? Du bist unglaublich.
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Rebenwanderin: Wieso antun, das macht doch Spaß! 😀 😉
Buchstäblich, mit der Namensforschung hab ich es nicht so. Das wird bei uns auch selten gemacht. Dafür komme ich dann gelegentlich mal gerne auf Deine Fachkenntnisse zurück. 😉
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Interessant! Und sogar verständlich 😉
Wenn man auf deiner ersten Karte sich das so ansieht, studierst du ja eigentlich alle europäischen Sprachen — wieviele kannst du eigentlich auch sprechen?
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Super Interessant das Ganze! Nicht nur das Thema, sondern wie du das rüberbrigst! Einfach klasse.
Dann hast du mit deinen Finnougristik und Indogermanistik fast die komplette Palette an europäischen Sprachen, oder? Wie sieht es mit Baskisch aus? Hat sich in letzter Zeit irgendeine Theorie bestätigt, woher diese Sprache denn kommt? Doch mit Finnisch und Ungarisch verwandt? Ich finde schon faszinierend, das diese kleine Sprachinsel existiert.
Es würde mich auch interessieren, wie viele Sprachen du tatsächlich sprichst 🙂
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*mich mal der Frage nach deinen Sprachkentnissen anschließ*
Mir erzählst du ja nicht allzuviel neues 🙄 aber ich fand es sehr schön und verständlich erklärt, nicht total oberflächlich, aber auch nicht zu sehr ins Detail gegeangen. Und ich wurde von keinen Fremdworten erschlagen 😀
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Ihr Lieben, vielen Dank für das Lob. Ich freu mich grad
sehrwie ein Schnitzel, dass es mir gelungen ist, das verständlich und informativ rüberzubringen. Ich habe diese Kategorie etwas schleifen lassen in letzter Zeit, weil ich keine Zeit und keine Muße hatte. Aber ich gelobe Besserung, verspreche viele neue Artikel live und in Farbe aus der großen bunten Welt der Sprachen und freue mich irrsinnig, dass dieses Thema für Euch interessant ist.@Aoife: Das freut mich, dass Du als „alter Hase“ das so siehst. Ich hab das einfach mal versucht, ob man das auch ohne seitenlanges Fachlatein gut rüberbringen kann, so dass ein Außenstehender sich etwas darunter vorstellen kann.
@Natalia: Nein, mit Finnisch und Ungarisch ist Baskisch sicherlich nicht verwandt. Das kann man ziemlich sicher auschließen. Aber womit es denn nun verwandt ist, darüber hauen die Forscher sich immer noch die Köpfe ein. Baskisch ist aber auch sehr exotisch und ja, die Frage, warum sich mitten in Europa so eine kleinen Sprachinsel einnistet ist wirklich spannend. Leider leider aber noch keine neuen Erkenntnisse soweit ich weiß. Es gibt aber so einige sogenannte „isolierte“ Sprachen wie Baskisch auf der Welt, kleine Sprachinseln, für die bis jetzt keine Verwandtschaft und kein Abstammungverhältnis gefunden werden konnte. So zum Beispiel das Ket in Sibirien oder das Burushaski in Pakistan.
Ich hab übrigens mal zwei Semester Baskich gelernt, aber jetzt denkt bloss nicht, ich könnte auch nur ein Brot auf Basksich kaufen. Erstens ist das schon eine Ewigkeit her, da war ich im ersten/ zweiten Semester und zweitens…
Das zweitens hat mit der hier mehrmals formulierten Frage nach meinen Sprachkenntnissen zu tun und dazu werde ich später oder morgen nochmal gesondert etwas schreiben. 😉
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Kenne deine Probleme, mein Fach heißt „Sprachen Nordeuropas und des Baltikums“ und ist eine Spezialisierung der Vergleichenden SprachWi. Ich glaube die Menschen verstehen den Fachinhalt („was willst du den mit Norwegisch und Litauisch anfangen???“) als auch meinen Gedankengang sowas zu studieren zu wollen nicht. Ich glaube bei Finnougristik gehts dir wohl ähnlich. 🙂
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@ansku: ich habe vor langer Zeit irgendwo gelesen oder gehört, dass irgendwelche Wissenschafter versuchen eine Verbindung zu den beiden Sprachen. Wie es aussieht, es ist den nicht gelungen 🙂
Ja, ein sehr interessantes Fänomen. Die Basken sind aber auch furchtbar stolz darüber (vielleicht ein Tick zu stolz???) Ich mag aber die Sprache nicht sonderlich (jetzt vom Klang her) AGUR!
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da fehlt ein „zu finden“ 🙂
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